December 15, 2013
Germany

Streit um Windräder wird heftiger

15.12.2013, von Mechthild Harting | Frankfurter Allgemeine Zeitung | www.faz.net

Sie ist schon weitem zu sehen. Die Einheimischen sind stolz auf ihre Burg und nennen sie liebevoll „Wetterauer Tintenfass“. Doch jetzt sehen die gut 6000 Einwohner der Stadt Münzenberg ihr kulturelles Erbe in Gefahr: In Sichtweite der mitteralterlichen Burganlage sollen acht gut 200 Meter hohe Windräder gebaut werden. Und das ist möglicherweise noch nicht alles, denn die Regionalplaner sehen entlang eines Bergrückens von Münzenberg über Wölfersheim bis hinunter nach Bad Nauheim ein fast 900 Hektar großes Areal als „Windvorranggebiet“ vor. Das böte Platz für 90 Windräder und wäre das größte Vorranggebiet des Regionalverbands im Ballungsraum Rhein-Main.

Am Mittwoch kommt der Regionalverband zusammen, um dem Entwurf für den „Teilplan Erneuerbare Energien des Regionalplans 2010“ zuzustimmen, so wie es die Regionalversammlung schon am vergangenen Freitag getan hat. Dann können die Karten mit allen vorgesehenen Windvorranggebieten vom 24. Februar bis zum 25. April öffentlich ausgelegt werden. Der Vertreter aus Münzenberg wird allerdings gegen den Entwurf stimmen.

Rathauschef erwartet „heißen Tanz“

Auch die Nachbargemeinde Wölfersheim ist gegen das Windvorranggebiet. Bürgermeister Rouven Kötter, der auch SPD-Fraktionschef im Regionalverband ist, erwartet, einen „heißen Tanz“, wenn Bürger und Kommunen nun beginnen, über die Standorte für Windräder zu diskutieren. Die Planung komme zu spät, meint Kötter, die Wölfersheimer hätten sich längst eigene Gedanken gemacht. An zwei Standorten wollen sie Windparks errichten, auf Flächen, die der Gemeinde gehören. „Mit den Pachteinnahmen können wir Feuerwehr und Kindergärten unterstützen“, sagt Kötter und fügt hinzu, dass so die Akzeptanz in der Bevölkerung gefördert werden könne. Einziger Malus: Die Standortwünsche der Gemeinde decken sich nicht mit den Vorstellungen der Regionalplanung.

Aus der Vogelperspektive der Regionalplaner sei die Ermittlung der Vorranggebiete unter dem Aspekt des höchsten Energieertrags richtig, aus der örtlichen Wahrnehmung aber nicht, sagt Kötter. Der Wind wehe besonders an exponierten Stellen, dort wollten die Bürger die weithin sichtbaren Räder aber nicht haben. Schon gar nicht, wenn nur private Investoren davon profitierten.

Auch andernorts in der Region haben Kommunen eigene Planungen für Windräder angestellt, zum Beispiel die Stadt Lorch im Rheingau, die vier Flächen für solche Anlagen ausgewählt hat, vor allem kommunales Gelände. „Wir wollen das Zepter des Handel in der Hand behalten“, sagt Bürgermeister Jürgen Helbing (CDU). Aber der Stadt Lorch kommt bei ihrer Windparkplanung vermutlich ihre besondere geographische Lage in die Quere: Die ausgewählten Flächen liegen zwar außerhalb der Kernzone des Weltkulturerbes „Oberes Mittelrheintal“, könnten aber in der Sichtachse liegen. Inzwischen ist eine Studie in Auftrag gegeben worden, aber Helbing ist skeptisch: Von den Anhöhen des Mittelrheintals sei jedes Windrad schon von weitem zu sehen.

Bedenken der Flugsicherung

Dem Bürgermeister von Wehrheim im Hochtaunuskreis, Gregor Sommer, macht vermutlich die Deutsche Flugsicherung einen Strich durch die Rechnung. Deren Vorgaben könnten den CDU-Politiker daran hindern, sich in der Region einen Namen als Windenergie-Befürworter zu machen. Hatte er früher oft vor der „Verspargelung“ der Landschaft gewarnt, steht er nun hinter dem Großprojekt „Windenergie Winterstein“, für das eine frühere Panzerübungsfläche im Taunus gemeinsam mit den Wetterau-Kommunen Friedberg, Rosbach und Ober-Mörlen entwickelt werden soll. Den Plänen steht allerdings ein Funkfeuer im Wege, und die Flugsicherung beharrt auf einem 15-Kilometer-Radius, der frei von Windrädern bleiben müsse. Insgesamt acht solcher Drehfunkfeuer gibt es im Rhein-Main-Gebiet, und mancher Regionalpolitiker warnt schon, dass von den Vorranggebieten nicht viel übrig bliebe, wenn die Flugsicherung überall die „15-Kilometer-Keule“ schwinge.

Der Windrad-Boom – 103 Anlagen sind in Südhessen in Betrieb, 114 sind in den beiden vergangenen Jahren beantragt worden – führt vielerorts zu Streit. Und die Diskussion um die Vorranggebiete wird die Auseinandersetzungen noch befördern. Zahlreiche Bürgeriniativen sind inzwischen gegründet worden, und das nicht nur in den drei Kreisen Odenwald, Main-Kinzig und Rheingau-Taunus, in denen aufgrund der Topographie die meisten Vorranggebiet geplant sind.

In Lautertal im Odenwald etwa herrsche „furchtbarer Streit“, wie der zuständige Landrat des Kreises Bergstraße, Matthias Wilkes (CDU), berichtet. Ein Investor will im früher eigenständigen Ortsteil Knoden, dort, wo auch ein Vorranggebiet vorgesehen ist, drei Windräder der neuesten Generation errichten, wie in Münzenberg mit einer Höhe von jeweils 200 Metern. Binnen weniger Tage nach Bekanntwerden der Pläne haben in der 7000-Einwohner-Gemeinde mehr als ein Viertel der Bürger eine Resolution gegen die Räder unterschrieben. Denn Knoden gilt mit seinen 90 Einwohnern aus Sicht der Regionalplaner als Weiler – und für die gilt im Gegensatz zu Siedlungen ein Mindestabstand von 600 statt 1000 Metern. Wilkes hofft auf Änderung im weiteren Verfahren. Ansonsten, so der CDU-Politiker, trage die Windkraft nur „Unfrieden in die Dörfer“.


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